Abklärung Frühpensionierung - Notwendigkeit oder Überforderung?

Anfrage 
«Ich arbeite seit vielen Jahren in der Pflege und die Arbeit wird für meinen Körper zunehmend anstrengend. Ich will mich darüber informieren, ob ich mir eine Frühpensionierung leisten kann. Nächstes Jahr werde ich 60 Jahre alt.»

Ausgangslage und Intervention durch Proitera
Frau D. kam mit diversen finanziellen Unterlagen zum Ersttermin. Die Erläuterung des Pensionskassenausweises gab einen ersten Eindruck. Um die Situation genauer abzuschätzen, bestellten wir bei der Ausgleichskasse eine Rentenvorausberechnung. Im Verlaufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass Frau D. auch privat mit diversen Problemen konfrontiert ist. Der Verlust ihres Vaters schmerzte noch, doch – dies war ihr unangenehm zu sagen – war es eine Erleichterung. Er war lange krank und zunehmend dement. Überrollt wurde sie von den anschliessenden Differenzen in der Herkunftsfamilie bezüglich Vorstellung, was mit dem Elternhaus geschehen sollte. Alte Verhaltensmuster der Geschwister kamen zum Vorschein und vergessen geglaubte Geschichten und Verletzungen kamen auf den Tisch. Frau D. als mittleres Kind sah sich wie früher oft in der Rolle der Vermittlerin. Das brauchte viel Kraft, zumal auch Nichten und Neffen zu Wort kommen wollten. War es nun die Arbeit, die sie zunehmend erschöpfte, oder die familiären Umstände? Frau D. wusste es plötzlich nicht mehr so genau. Wir besprachen zuerst Möglichkeiten, wie sie in dieser kräfteraubenden Zeit auftanken könnte. Die Beraterin war nicht erstaunt, zu hören, dass sie in den vergangenen Monaten sämtliche Hobbys aufgegeben hatte. Dies ist eine typische, aber gleichzeitig gefährliche Reaktion auf Überlastung und Überforderung. Frau D. war froh, dass sie sich wenigstens die Zeit für eine Beratung «gestohlen» hatte, und analysierte nun gerne, wie sie eine bessere Balance zwischen Pflichten und Erholung finden konnte. Sie wollte sich wieder regelmässig bewegen und soziale Kontakte mit Menschen, die ihr «gut taten», pflegen. Zum Abschluss des Erstgesprächs übte Frau D., in Worten ihre eigenen Bedürfnisse zu formulieren und sich besser abzugrenzen. «Das hätte mir als Kind einiges erleichtert», meinte sie abschliessend, «noch heute fühle ich mich für alles verantwortlich.»

Ergebnis 
Die Rentenvorausberechnung und die Analyse der finanziellen Situation und der Bedürfnisse von Frau D. ergaben, dass sie sich nach ihrem nächsten Geburtstag pensionieren könnte. Diese Erkenntnis kam für sie sehr überraschend und sie spürte grosse Erleichterung. Gerne wollte sie mit der Option der frühzeitigen Pensionierung den geliebten Beruf noch eine Weile ausüben. «Und falls mein Rücken zu sehr zwickt, gehe ich in Rente.» Auch die Aufgaben, welche die Beraterin ihr gab, brachten positive Ergebnisse. Sie fühlte sich autonomer und sichtbar gelassener, erkannte ihre Grenzen besser und brachte sogar den Mut auf, private schwierige Kontakte zu klären.