19. Dezember 2023

Tabuthema: Einsamkeit in der Arbeitswelt

Jede dritte Person in der Schweiz fühlt sich manchmal oder oft einsam. Gerade an den Feiertagen kann dieses Gefühl besonders stark ausgeprägt sein. Gerade für Menschen die ihr soziales Umfeld verloren haben, sind diese Tage besonders schwer. Aber auch wenn man sich mitten unter den Gästen einer Familien- oder Firmenfeier befindet, kann man sich nicht zugehörig und einsam fühlen.

Bei Menschen, die in die Schweiz migriert sind, ist die Zahl sogar noch höher. Aber auch Jugendliche und jungen Erwachsene fühlen sich zunehmend einsam. Diese Tendenz ist laut dem Bundesamt für Statistik seit 2007 steigend. Dabei fand die letzte Befragung zum Thema im Jahr 2017 statt, also noch vor der Coronapandemie. Doch obwohl in unserem Land so viele Menschen von Einsamkeit betroffen sind, ist die Scham darüber zu sprechen enorm gross.

Wer einsam ist, leidet. Wer chronisch leidet, ist nicht glücklich, und wer nicht glücklich ist, der ist nicht nur unzufrieden, sondern leistet auch weniger, ist häufiger krank und nimmt nicht mehr so an einer Gesellschaft teil, dass diese sich gesund entwickeln könnte.

Aus dem Dossier: Einsamkeit in der Schweiz

Was bedeutet Einsamkeit?

Einsamkeit ist ein subjektives Erleben. Dabei handelt es sich meistens um ein Gefühl des Mangels, ein Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden und mangelnder sozialer Verbundenheit. Einsamkeit unterscheidet sich also vom Alleinsein. Denn man kann allein sein, ohne sich dabei einsam zu fühlen oder man fühlt sich einsam, obwohl man von Menschen umgeben ist.

Jede Person fühlt sich in seinem Leben manchmal einsam. Sei es, dass man durch eine Trennung oder den Tod einen wichtigen Menschen in seinem Leben verloren hat, den Wohnort wechselt oder einen neuen Job bei einem neuen Arbeitgeber antritt. In solchen Situationen ist die Einsamkeit sogar ein wichtiger Schutzmechanismus, der einem auffordert, wieder unter die Leute zu gehen und Kontakt zu Mitmenschen zu suchen. Gefährlich wird es, wenn das Gefühl der Einsamkeit anhält, also chronisch wird.

Denn die gesundheitlichen Folgen von chronischer Einsamkeit sind fatal. Die Ärztin Anne-Françoise Allaz nennt die Einsamkeit in einem Artikel sogar den «unerkannten Killer»:
Einsamkeit ist gemäss unterschiedlichen Studien tödlicher als Fettleibigkeit oder Rauchen, kann zu Herz-Kreislauf-Problemen, Schlafstörungen, Rücken- und Nackenschmerzen oder mittelschwerer bis schwerer Depression führen.

Einsamkeit am Arbeitsplatz

Diskussionen zum Thema Einsamkeit in der Arbeitswelt wurden in den vergangenen Jahren vor allem rund um die Pandemie und die Verbreitung vom Arbeiten im Homeoffice geführt. Dabei kann das Gefühl genauso gut im abgeschotteten Einzelbüro oder, umgeben von Menschen, im Grossraumbüro erlebt werden. Gefühle von fehlender Anerkennung oder der Ablehnung in Teamsitzungen können in diesem Setting besonders stark ausgeprägt sein. Diese Empfindungen führen häufig zu einem Gefühl des Scheiterns oder des Versagens und verfestigen damit die Scham, die mit der Einsamkeit verbunden ist. Die betroffenen Personen ziehen sich immer mehr zurück und werden dadurch noch einsamer. Ein Teufelskreis!

Besonders gefährdet sind Menschen, die sich während der Arbeit «verstellen» müssen. Davon betroffen sind oft jüngere Mitarbeitende. Ihnen fällt es mitunter schwer, sich mit ihrem Arbeitgeber verbunden zu fühlen, weil ihre Wertvorstellungen nicht mit jenen anderer Generationen oder der Unternehmenskultur übereinstimmen. Das führt zum Gefühl der Einsamkeit. Aber auch Angehörigen der LGBTQIA+-Community oder ethnische Minderheiten kann es schwer fallen, sich ihrem Team zugehörig zu fühlen. Mitarbeitende die aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls längerfristig ausgefallen sind und zu Beginn eines Wiedereingliederungsprozesses nicht oder nur bedingt in ihrer angestammten Tätigkeit, ihrer bisherigen Rolle oder in ihrem ursprünglichen Team arbeiten können, fühlen sich ebenfalls oft nicht (mehr) zugehörig und einsam in ihrer Situation.

«Führungspersonen sollten ihren Mitarbeitenden gegenüber Wertschätzung zeigen. Wer sich als Verbrauchsmaterial wahrnimmt, ist gefährdet zu vereinsamen.»

Jürgen Margraf, Universität Bochum

Überaus einsam kann es auch als Führungskraft sein.

Denn gerade schwierige Entscheidungen müssen von Führungskräften oft allein getroffen werden. In der Führungsetage lastet ein beträchtlicher Druck, der dazu führen kann, dass sich Kadermitarbeitende isoliert fühlen. Sie tragen nicht nur die Verantwortung für das Unternehmen, sondern haben möglicherweise auch niemanden, mit dem sie sich auf Augenhöhe austauschen können. Die Sorgen, Unsicherheiten und Belastungen, die mit dieser Rolle einhergehen, können zu einem Gefühl der Einsamkeit führen. Diese Form der Isolation kann nicht nur die psychische Gesundheit von Führungskräften beeinträchtigen, sondern auch ihre Entscheidungsfähigkeit und langfristig die Leistungsfähigkeit des Unternehmens gefährden.

Wege aus der Einsamkeit

Gesundheitliche Ausfälle, sinkende Leistungsfähigkeit, mangelnde Zusammenarbeit und hohe Fluktuation – Einsamkeit kommt ein Unternehmen teuer. Deshalb ist es ratsam, das Schweigen über das Tabuthema zu brechen und entsprechende Massnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeit auf allen Hierarchiestufen zu implementieren.

Wir haben einige Möglichkeiten in unserer Checkliste zusammengefasst, mit der Führungskräfte oder HR-Fachpersonen Mitarbeitende ihres Unternehmens darin unterstützen können, Wege aus der Einsamkeit zu finden.


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